Wenn der Stromkunde für den Golfclub zahlt

 (Buchloer Zeitung vom 22.10.2013 – dpa, tai)

So viele Firmen wie nie sind von den Netzgebühren befreit. In diesem Jahr könnten 1500 Betrieb dazukommen – auch aus der Region Schwaben – Allgäu.

Wenn man so will, muss der Golfclub Johannesthaler Hof als Sündenbock für eine unfaire Kostenverteilung bei der Energiewende herhalten. Der Club am Rande des Schwarzwalds kommt wegen eines starken Stromverbrauchs in lastschwachen Nebenzeiten – etwa wenn Bewässerungsanlagen nachts laufen – bis 2015 in den Genuss geringerer Netzentgelte. Das Beispiel dient gerade den Grünen für scharfe Angriffe. Und neue Zahlen zeigen: Die von Union und FDP ausgeweiteten Rabatte nutzen immer mehr Firmen und Einrichtungen.

Wirtschafts-Staatssekretär Stefan Kapferer hat auf eine Anfrage der Grünen nun mitgeteilt, dass im laufenden Jahr bis zu 1500 neue Anträge bei der dafür zuständigen Bundesnetzagentur gestellt werden könnten. Da Befreiungen unbefristet oder für mehrere Jahre gewährt werden, kämen sie dazu. Einige Beispiele aus der Liste der genehmigten Anträge: der Friedrichsstadtpalast in Berlin, Kühlhäuser, Schlachthöfe und Fast-Food-Imbisse.

 

SGL Carbon, Ihle und Hochland erhalten Rabatte

Auch in der Region Schwaben – Allgäu finden sich einige Unternehmen, deren Anträge bereits genehmigt wurden. Dazu gehören das Meitinger Unternehmen SGL Carbon und Märker Zement in Harburg. In diesem Jahr dazugekommen sind unter anderem die Ihle Landbäckerei in Friedberg, die Käserei Hochland mit dem Standort Schongau und Zenker Backformen in Aichach. Sogar das Amtsgericht Aichach befindet sich auf der Liste.

Die Zahl der Antragsteller ist groß: Um die Befreiung von Netzentgelten bemühen sich unter anderem die Kuka AG in Gersthofen, die Gartencenter-Kette Dehner in Rain und die Ulmer Großbäckerei Staib – aber beispielsweise auch Freizeitparks wie das Legoland in Günzburg und der Allgäu-Skyline-Park in Kirchdorf.

Allerdings sind die Vorteile etwa beim Golfclub Johannesthaler Hof überschaubar. „Wir zahlen je nach Verbrauch 1500 bis 3000 Euro im Jahr weniger“, sagt der Geschäftsführer Werner Schaffner. Ob das auch für die rund 2500 weiteren Firmen gilt, deren Anträge seit 2011 genehmigt wurden? Die Kosten für die Rabatte jedenfalls sind hoch. 2012 kletterten sie auf 440 Millionen Euro. Im laufenden Jahr könnten es geschätzt über 800 Millionen Euro sein.

Was bei der Förderung erneuerbarer Energie die Ökostrom-Umlage ist, ist in diesem Bereich die Paragraf-19-Umlage, mit der die anderen Stromverbraucher die Ausnahmen mitbezahlen (siehe Infokasten). Die Umlage ist Teil des Strompreises. Jeder Bürger zahlt derzeit 0,239 Cent pro Kilowattstunde. Pro Jahr macht das bei einem Durchschnittsverbrauch von 3500 Kilowattstunden rund 11,50 Euro aus. 2014 wird die Umlage allerdings auf 0,187 Cent sinken, wie gestern bekannt wurde. Unabhängig davon rechnet man mit einem Anstieg der Netzentgelte selbst, die ebenfalls Teil des Strompreises sind. Gründe dafür sind nicht Befreiungen bestimmter Unternehmen, sondern der Ausbau des Netzes.

Der Paragraf 19 der Stromnetzentgeltverordnung ist seit der Fukushima-Wende ein Streitpunkt. Er wurde auch als „Mitternachtsparagraf“ bekannt, weil Änderungen in der turbulenten Schlussphase der Gesetzesberatungen kurz vor der Abstimmung weitgehend unbemerkt untergebracht wurden. So wurde neben reduzierten Netzentgelten bei hoher Stromabnahme nachts auch für die energieintensivsten Unternehmen mit einer konstant hohen Abnahme eine 100-prozentige Befreiung beschlossen. Union und FDP begründeten dies 2011 mit einer netzstabilisierenden Wirkung durch die gleichmäßige, berechenbare Stromabnahme  – und einer Sicherung von Arbeitsplätzen.

Grünen-Politiker fordert weitere Anpassungen

Im Juli wurde der Paragraf vom Kabinett bereits in Teilen revidiert. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte die Komplettbefreiung bei einem enorm hohen Verbrauch gekippt, die EU-Kommission sah wettbewerbsrechtliche Probleme. Über 200 energieintensive Betriebe, die komplett von Netzentgelten befreit waren, müssen nun mindestens zehn Prozent der allgemeinen Kosten für den Transport von Strom bezahlen – vorausgesetzt, sie verbrauchen pro Jahr zehn Gigawattstunden Strom und nehmen über 8000 Stunden Strom ab.

Der Grünen-Politiker Oliver Krischer fordert von einer möglichen Großen Koalition, weitere Anpassungen vorzunehmen: „Es kann nicht sein, dass die privaten Haushalte die Strompreise für Golfplätze, Autohäuser und Hähnchenmäster mitbezahlen.“ (dpa, tai)

Netzentgelte – Kostentreiber des Strompreises (erschienen Buchloer Zeitung vom 22.10.2013)

  • Die Netzentgelte machen insgesamt etwa ein Fünftel des Strompreises aus und finanzieren den Betrieb und den Ausbau der Stromnetze.
  • Firmen, die besonders viel Energie verbrauchen oder diese vor allem an Tagesrandzeiten nutzen, können sich aber davon ganz oder teilweise befreien lassen. Die schwarz-gelbe Koalition hatte den Kreis dieser Firmen und die Möglichkeiten zur Entlastung 2011 deutlich ausgeweitet.
  • 2011 und 2012 hatten knapp 4800 Unternehmen eine Befreiung von den Netzentgelten beantragt. Genehmigt wurde dies bislang in etwa 2500 Fällen, mehr als 1800 Verfahren sind noch offen. In gut 400 Fällen wurde n die antragsverfahren eingestellt, nicht einmal zehn anträge wurden abgelehnt.
  • Für die ausfallenden Beiträge müssen Privatkunden und kleinere Firmen über eine Umlage aufkommen. Diese liegt derzeit bei 0,329 Cent je Kilowattstunde (kWh). 2014 wird sie auf 0,187 Cent sinken. Grund dafür ist eine im Juli beschlossene Reform, wonach eine Komplettbefreiung von Netzentgelten für die energieintensivsten Unternehmen aufgehoben worden war. (afp, dpa)